Hier könnte ein zukunftsgewandter Text stehen. Nach der Landtagswahl im März hatte Ministerpräsident Kretschmann die Chance, eine progressive Koalition mit Liberalen und Sozialdemokraten zu schmieden. Doch er verharrte lieber im ihm Vertrauten und beließ es beim Bündnis mit der beim Wähler durchgefallenen Strobl-CDU – gegen den ausdrücklichen Willen seiner eigenen Partei. Und die ersten 100 Tage des neuen Kabinetts zeigen, dass die Bedenken gegen eine Fortsetzung von Grün-Schwarz vollauf berechtigt waren. Woran genau macht sich diese Kritik aber fest und was wollen wir besser machen, um Baden-Württemberg wieder voranzubringen?
Ein in jeder Hinsicht dicker Brocken ist die Haushaltsplanung der Landesregierung. Trotz 20 Milliarden Euro an liquiden Mitteln und einem prognostizierten Jahresüberschuss von 2,3 Milliarden weitere 1,2 Milliarden Euro Schulden anzuhäufen, ist schlicht unnötig. Das durchsichtige Kalkül dahinter: jetzt noch Verbindlichkeiten einzugehen, um die ab kommendem Jahr regulär greifende Schuldenbremse zu unterlaufen. Der Landesrechnungshof hat diesen teuren Taschenspielertrick bereits als verfassungswidrig eingestuft. Diese Einschätzung teilen wir in der FDP/DVP-Landtagsfraktion und werden diesen Anschlag auf die Generationengerechtigkeit notfalls gerichtlich unterbinden.
Die aktuell günstige Haushaltslage kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der mittelfristigen Planung die Nachwehen der Pandemie und notwendige Infrastrukturinvestitionen im Verbund mit der politisch erzwungenen Transformation unserer bisher erfolgreichen Industrie die Spielräume enger werden und daher staatliches Handeln Prioritäten setzen muss. Wie diese im Kabinett Kretschmann III gehandhabt werden, lässt leider wenig Verantwortungsbewusstsein für das Land erkennen. Um der Machtarhythmie und lukrativer Versorgungsposten willen wird der Regierungsapparat um ein Kleinministerium und unzählige Staatssekretäre und Beauftragte aufgebläht, während außerhalb der unmittelbaren Hofhaltung der Villa Reitzenstein Schmalhans bereits Küchenmeister ist.
Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen aus früheren Jahren waren es wieder angehende Lehrkräfte, die diese eigenwillige Interpretation schwäbischer Spartugend ausbaden müssen: Auch in diesem Sommer wurden Referendarinnen und Referendare wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen. Und dies ist nicht das einzige Versäumnis im wohl wichtigsten Bereich landeshoheitlichen Wirkens, der Bildungspolitik. Im zweiten Jahr der Pandemie gibt es keine Entschuldigung mehr für das Versäumnis bei der Beschaffung von Raumluft-Filteranlagen. Die geradezu behäbige Selbstverständlichkeit, mit der der Ministerpräsident diese Maßnahme im Sommer für undurchführbar erklärte, ist dabei noch erschreckender als das Planungsdefizit des Landes an sich. Leidtragende werden die Kinder, Eltern und Lehrer sein, wenn absehbar eintritt, was jetzt noch bestritten wird, und der Präsenzunterricht wieder nur eingeschränkt stattfindet.
Die sozialen wie pädagogischen Nachteile des getrennten Lernens werden somit weiterhin in Kauf genommen. Tatsächlich hapert es aber bereits an den technischen Grundlagen des Fernunterrichts: Kein anderes Bundesland weißt eine so hohe Dichte an Störungsmeldungen der Bildungsplattform Moodle auf, und nach dem Debakel um das gescheiterte landeseigene ella-Programm wussten sich viele Verantwortliche bis hin zum Kultusministerium nicht anders zu helfen als mit nach europäischem Datenschutzrecht illegalen Microsoft-Lösungen. Die in der aggressiven Verteidigung des Ministeriums, das im Verbund mit dem Innenministerium für die Entwicklung von ella verantwortlich war, erklärte datenschutzkonforme Lizenzierung von Programmkomponenten des globalen Marktführers kann nur als Schutzbehauptung gewertet werden, denn tatsächlich sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in der EU und den USA schlicht nicht miteinander kompatibel.
Auch in der neu begonnenen Legislaturperiode mussten wir also wiederholt die Funktionalität von Regierungsentscheidungen – zu Corona und darüber hinaus – hinterfragen. Ebenso besteht aber nach wie vor eine eher lose Bindung der Regierungsspitze an die Verhältnismäßigkeit ihres Handelns. Diese wurde vom Ministerpräsidenten persönlich sogar explizit in Frage gestellt, ehe er nach dem Platzen dieses Versuchsballons schnell verbal zurückruderte. Die FDP als parlamentarische Wächterin von Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Gewaltenteilung ist, das zeigt sich nach dem Versuch des Durchregierens mittels Verordnungspolitik wieder einmal, unerlässlich für die gesellschaftliche Stabilität. Die schlichte Erkenntnis etwa, dass unsere verfassungsmäßigen Grundrechte keine Privilegien sind, die auf dem Altar vermeintlich höherer Güter geopfert werden können, braucht auch nach der Überwindung der pandemischen Lage Fürsprecher, etwa in der Auseinandersetzung mit rigiden Auswüchsen missionarischer Eiferer in der Klimapolitik.
Diese bietet auch im Land reichlich Anschauungsmaterial für die Fehleranfälligkeit überbordenden Lenkungswillens. Die Forschung und Entwicklung im Speicherbereich steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen. Stattdessen wird immer noch der Bau von Windrädern im Lee des Schwarzwaldes forciert – obwohl selbst diese nicht durchgehend laufen können, da die nötigen Speicher ja fehlen. Auch ist das landeseigene Engagement beim Ausbau regenerativer Energieerzeugung überraschend dürftig ausgeprägt: Jüngst hat eine Anfrage im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums etwa ergeben, dass bei weit über 600 dem Ressort unterstehenden Landesimmobilien in den vergangenen fünf Jahren offensichtlich ganze zwei Photovoltaikanlagen installiert wurden.
Dem gegenüber steht die nun beschlossene PV-Pflicht für alle Bürgerinnen und Bürger, ob sie am jeweiligen Standort nun sinnvoll ist oder nicht. Damit fügt das Land einen weiteren Baustein in die bisherige Wohnungsverhinderungspolitik. Wir sind dagegen der Meinung, dass dort, wo Sonnenergie effektiv genutzt werden kann, diese sich auch ohne Dirigismus durchsetzen wird. Dies und weitere Maßnahmen wie die Absenkung der Grunderwerbsteuer und die Entschlackung der Landesbauordnung würden dagegen den Wohnbau verbilligen und damit eine der drängenden sozialen Fragen dieser Zeit positiv beantworten – ganz ohne ein eigens dafür aus dem Wirtschaftsressort ausgegliedertes Bauministerium.
Genau diese soziale Komponente lässt die etatistische Klimapolitik hierzulande aber auch im Mobilitätsbereich vermissen. Gerade Baden-Württemberg, gerade die Region um Heilbronn kann massiv profitieren, wenn Wasserstoff und vor allem die bereits heute einsatzbereiten – und im europäischen Ausland auch schon nutzbaren – klimaneutralen synthetischen Kraftstoffe zum Einsatz kämen. Zum Einen ermöglicht dies die Weiternutzung konventioneller Bestandsfahrzeuge, was die insbesondere für ärmere Menschen schwer zu stemmende Investition in einen batterieelektrischen Ersatz erspart. Zum Anderen sichert dies weit mehr Arbeitsplätze als der aktuell verordnete Elektroantrieb. Zur Ehrenrettung des Landes sei aber gesagt, dass der sonst so oft zu Kritik Anlass gebende Verkehrsminister Herrmann in dieser Frage eine erfreuliche Offenheit zeigt; Bremsklotz ist das SPD-geführte Bundesumweltministerium, das aus offensichtlicher Sorge um die selbst gesteckten Elektrifizierungsziele die Zulassung nachwachsender Kraftstoffe in Deutschland verweigert.
Statt der erwähnten Windräder im Wald setzen wir auf CO2-Bindung unter anderem durch Aufforstung. Hierzu muss für die Waldbewirtschaftung wieder mehr Verständnis entstehen, in der Landespolitik wie in der Gesellschaft. Bei der Arbeit in der Natur – Forst- und Landwirtschaft, Angeln und Jagd – besteht ein komplexes Gefüge aus allgemeinen Umwelt- und Artenschutzinteressen, der Erholungsfunktion des Außenbereichs, dem Nutzungsrecht der Eigentümer und der Notwendigkeit von Versorgungssicherheit speziell im Lebensmittelbereich. Rufen wir uns auch in Erinnerung, dass die moderne Artenvielfalt ein Produkt unserer Kulturlandschaft ist, die besondere Biotope wie Weinbergsterrassen, Streuobstwiesen und Heiden geschaffen hat. Einseitige Eingriffe, seien sie auch mit hehren Schutzzielen begründet, sind kritisch zu hinterfragen und baden-württembergische Sonderwege lassen sich nicht unbedingt rechtlich halten, wie gerade die gerichtliche Aufhebung des Nachtangelverbots gezeigt hat.
Doch auch, was vor Kurzem noch bei Anderen als Fehler erkannt wurde, kann in dieser Regierung plötzlich zur eigenen Handlungsmaxime werden. Im Rahmen ihrer inhaltlichen Selbstaufgabe zum Wohle des persönlichen Machterhalts ließen die CDU und ihr aus unserem schönen Heilbronn stammender Landesvorsitzender und Innenminister sich Kennzeichnungspflicht und Antidiskriminierungsgesetz als Manifestation grünen Misstrauens gegenüber allen Angehörigen der Polizei diktieren. Völlig zurecht hatte eine solche Maßnahme in Berlin im vergangenen Jahr noch Proteste auch hier im Südwesten ausgelöst.
Schließlich ist aber nochmal auf die Coronamaßnahmen zurückzukommen und ihre Auswirkungen hier vor Ort, verdeutlicht an zwei Beispielen liberaler Intervention: Zunächst einmal waren hier in den ersten Monaten des Jahres die strengen Kontaktbestimmungen zur Bekämpfung der zweiten und dritten Pandemiewelle. Sind diese im Grundsatz auch nachvollziehbar, führten sie doch im Frühjahr und Frühsommer zu absurden Situationen zu Lasten des Ehrenamtes. Mit heißer Nadel gestrickte Verordnungen und das beliebte Spiel, die Verantwortung am Ende auf die kommunale Ebene abzuwälzen, führten dazu, dass Sportplätze und Vereinsheime nicht in Eigenleistung in Schuss gebracht werden durften, wohl aber gegen gutes Geld aus im Lockdown ohnehin schon klammen Vereinskassen. Vielfach setzten wir uns aus der Landtagsfraktion heraus für eine klarere Rechtslage ein.
Ebenfalls wichtig für die ehrenamtliche Arbeit, besonders aber auch für Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien waren zudem unsere Bemühungen um mehr Planungssicherheit für Ferienfreizeiten. In beiden Fällen bewegte das Sozialministerium sich spät, doch es bewegte sich und so konnten unsere Jüngsten die nun zu Ende gehenden Ferien noch etwas mehr genießen. Wir Freie Demokraten setzen uns auch weiterhin verlässlich für die Menschen in Baden-Württemberg ein. Gerne hätten wir die Gestaltungsmöglichkeiten einer liberal mitregierten Koalition genutzt, doch auch die ersten 100 Tage der neuen Regierung haben gezeigt, dass konstruktive Oppositionsarbeit ebenfalls Früchte tragen kann.